ANFRAGE
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Künstliche Intelligenz mit Köpfchen

Künstliche Intelligenz (KI), Machine Learning, Deep Learning: Wohlklingende Buzzwords wie diese sind zurzeit in aller Munde. „Brandneu“ sind diese „Zukunftstechnologien“ für HEUFT aber nicht. Die „Zukunft“ hat hier schon vor fast zehn Jahren begonnen. Wo, wie und wozu der Technologieführer KI bereits einsetzt, welche Möglichkeiten und Grenzen Machine Learning und Deep Learning in diesem Zusammenhang haben und ob Big Data allein wirklich ausreicht, klären HEUFT-Entwicklungsleiter Dr. Wolfgang Polster und Dr. Thomas Jahnen, der für den Technischen Vertrieb zuständige Geschäftsführer, im Doppelinterview.

KI und Deep Learning: Ist das ein und dasselbe?

Dr. Thomas Jahnen: „Vielfach wird KI und Deep Learning pauschal zusammengefasst. Tatsächlich wird mit Deep Learning aber nur der Teilbereich bezeichnet, bei dem ein neuronales Netzwerk ohne Vorkenntnisse aus vielen Daten mit der Zeit ‚lernt‘, dass manche Datenmuster auffällig und als Fehler zu betrachten sind – eine spezielle Methode des maschinellen Lernens. Und Machine Learning ist wiederum nur eine von verschiedenen Techniken in der künstlichen Intelligenz.“

Menschliche Intelligenz ist also überhaupt nicht mehr gefragt heutzutage?

Dr. Wolfgang Polster: „Die Prinzipien von Deep Learning, bei dem sich ein allgemeines Netz durch Einlernen automatisch an die Aufgabenstellung anpasst, sind bei HEUFT im Allgemeinen durch ‚Human Intelligence‘ ersetzt. Menschen mit gutem technischen Verständnis und Kenntnis der Prozessdetails im konkreten Aufgabengebiet bereiten sinnvolle Bewertungsstrukturen vor. Hiermit erzielen wir schon seit Jahren eine hohe Erkennungssicherheit bei niedriger Fehlausleitrate. In Inspektoren der HEUFT SPECTRUM II-Generation haben wir von Anfang an auf intelligente Bildfilterung gesetzt, wobei ‚Human Intelligence‘ eingesetzt wurde, um die richtige Filterstruktur zu entwickeln. Das Ergebnis ist ein problemangepasster Auswerteablauf.“

Human Intelligence‘? Was soll an einer Bildfilterung denn menschlich sein?

Dr. Thomas Jahnen: „2010 hat HEUFT das selbstentwickelte Bildverarbeitungssystem HEUFT reflexx² auf den Markt gebracht. Es basiert auf den Erfahrungen der seit 1998 genutzten ersten Generation der HEUFT reflexx-Technologie und ermöglicht über die Nutzung sehr schneller Hardware-Koprozessoren eine Merkmalserfassung von Objekten. In einem vieldimensionalen Klassifizierungsprozess erfolgt dann eine zielgerichtete Bewertung. Allerdings basiert die Struktur dieser Bewertung auf den Erfahrungen von Menschen und dem von ihnen erworbenem Fachwissen: Der Mensch weiß, dass bestimmte Merkmale zum Produktionsprozess gehören. Daher kann er schnell und anhand von wenigen ausschließlich guten Produkten die 'guten' Objekte klassifizieren. Die Maschine lernt diese Objekte dann in einem multidimensionalen Merkmalsraum ein.“

Das Machine Learning bekommt also menschliche Unterstützung. Was sind das denn für Objekte, die der Mensch einfach besser bewerten kann? Welchen Part übernimmt er und welchen die Maschine?

Dr. Wolfgang Polster: „Die Hauptaufgabe übernimmt ein Hardware-Koprozessor zur Merkmalsextraktion aus Bildern. Er erzeugt aus dem Bild eine Objektliste von verdächtigen Stellen mit bis zu 46 individuellen Merkmalen. Benutzt werden dazu vom Menschen vordefinierte Filterschichten, die alle nacheinander durchlaufen werden. Durch diese Vorstrukturierung ist das Einlernen mit mehreren tausend Bildern gar nicht erst nötig. Ein allgemeines neuronales Netz startet mit dem Wissensstand eines Säuglings und kann auf eine beliebige Aufgabenstellung angewandt werden. Wir starten auf dem Wissensstand eines Hochschulabsolventen mit praktischer Erfahrung in der Leerflascheninspektion. Das Ergebnis ist in beiden Fällen eine hochkomplexe Filterstruktur für die Leerflascheninspektion in Form eines Netzes das nicht auf individuelle Eigenschaften der untersuchten Flaschen angepasst ist. Im nächsten Schritt wird dann aus der Objektliste der erwähnte multidimensionale Merkmalsraum aufgespannt. Der stellt die Grundlage für Machine Learning und KI dar. In ihm können die speziellen Eigenschaften der Flaschen eingelernt werden.“

Dr. Thomas Jahnen: „Behälter mit besonderen Strukturen wie Embossings und Ausrichtekerben laufen in beliebigen Ausrichtungen durch den Leerflascheninspektor. Diese Objekte sind selbstverständlich im Inspektionsbild sichtbar, werden aber aufgrund der Merkmalsklassifizierung von der Maschine eindeutig identifiziert und erhalten dann in der Maschine die vom Menschen gewünschte Bewertung. Das ermöglicht jederzeit eine nachvollziehbare Darstellung aller im Bild vorhandenen Objekte. Eine Neubewertung solcher Objekte ist ohne Zeitverzug umsetzbar. Gerade bei der Einführung neuer Produkte kann es nämlich sinnvoll sein, Bewertungsdetails kurzfristig ein- und ausschalten zu können. Natürlich gibt es auch Merkmale, die zu einem unterschiedlichen Erscheinungsbild des Produkts beitragen. So sind zum Beispiel Wassertropfen an leeren Flaschen nach dem Waschprozess an unterschiedlichen, aber nicht vorhersehbaren Positionen zu finden. Auch hier gelingt es der HEUFT-Technik seit Jahren durch die beschriebene Klassifizierung den Einfluss von Wassertropfen auf das Inspektionsergebnis ohne Beschränkung der Inspektionsleistung auszuklammern.“

Und die korrekte Bewertung und Einordnung solcher harmloser Wassertropfen beruht dann auf menschlicher Erfahrung?

Dr. Wolfgang Polster: „Ja, genau. Es gibt zwar schon vordefinierte Filter zur Berücksichtigung von Störobjekten wie zum Beispiel Wassertropfen. Deren Eigenschaften wurden allerdings vorab von Experten analysiert, um eine Charakteristik zu ermitteln. Damit gelingt eine sehr gute Separation im Merkmalsraum zwischen Wassertropfen und Fehlerobjekten.“

Dr. Thomas Jahnen: „Intelligente Filter unterstützen zum Beispiel die Unterscheidung zwischen Kondensation ohne und Scuffing mit speziellen Strukturen. Besondere Technologien wie die patentierte Regenbogenbeleuchtung von HEUFT fügen zusätzliche Parameter hinzu. Damit werden verbesserte automatische Entscheidungen möglich, so dass sich etwa ein transparenter Wassertropfen aufgrund seiner Lichtbrechung klar von einem transparentem Kunststoffobjekt wie zum Beispiel dem Fragment eines Tabletten-Blisters in der Flasche differenzieren lässt. Denn die menschliche Erfahrung lehrt, dass der Regenbogen im Tropfen umgekehrt widergespiegelt wird, wohingegen beim transparenten Blisterstück die Reihenfolge der Farben gleich bleibt. Die Suche nach ‚invertierten Regenbögen‘ bildet hier also die Basis der Unterscheidung zwischen harmlosen und kritischen Objekten. Voraussetzung dafür ist also wiederum ‚Human Intelligence‘, also menschliches Wissen und menschliche Erfahrung.“

Wie wirkt sich das auf die Erkennungssicherheit aus?

Dr. Thomas Jahnen: „Bei der Qualitätsüberprüfung mit automatischen Inspektionsgeräten wird gerade bei Critical Control Points eine präzise Inspektion vom ersten Produkt an erwartet. Die Inspektionsergebnisse müssen reproduzierbar und vom Menschen nachprüfbar sein. Nur dann ist eine Validierung des Inspektionsgeräts möglich. Erwartet werden jederzeit Inspektionsergebnisse mit Erkennungssicherheiten von deutlich größer als 99 Prozent. Außerdem muss das klare Inspektionsergebnis sehr schnell vorliegen, häufig stehen kaum 50 Millisekunden pro Produkt für die Feststellung der Bewertung zur Verfügung. Die Berechnungsprozesse müssen entsprechend schnell und zuverlässig erfolgen. Dabei hilft diese menschliche Vorab-Bewertung auffälliger Datenmuster. Mittels Deep Learning kann so eine Auffälligkeit zwar als Fehler ‚erlernt‘ werden. Häufig lässt sie sich aber nicht lokalisieren, quantifizieren und genauer bewerten.“

Und darauf kommt es an, um nur fehlerhafte Behälter auszuleiten?

Dr. Wolfgang Polster: „Richtig. Eine KI braucht immer das Trainieren von vorklassifizierten Gut- und Schlecht-Objekten. Weil hierbei nicht alle Formen von Schlecht-Objekten trainiert werden können, kann es bei geforderten Erkennungsraten von mehr als 99 Prozent zum Durchlaufen von nicht trainierten Fehlern kommen. Und das ist der GAU für einen Qualitätsinspektor. Eine geringere Fehlausleitrate auf Kosten der Erkennungsrate zu erzielen, ist kontraproduktiv. Eine ganz wichtige Festlegung erfolgt deshalb schon zu Beginn: Der ganze Merkmalsraum wird als Schlecht-Flasche definiert. Eingelernt werden prinzipiell keine Fehler. Es werden vielmehr nur Gut-Flaschen eingelernt und damit nur geringe Bereiche des Raumes mehrdimensionaler Blasen als gut definiert. Das hat zur Folge, dass unbekannte Objekte immer als Fehler klassifiziert und ausgeleitet werden.“

Ist Deep Learning dann gar kein Thema für die Inspektionstechnologie?

Dr. Thomas Jahnen: „Selbstverständlich ermöglicht die Technik der neuronalen Netze neben der Inspektionsbewertung eine allgemeine Verbesserung der Inspektionsleistung. Seit 2018 verwendet HEUFT solche Prozesse zum Beispiel für die Filterung von elektronischem Rauschen. Damit wird die Bildqualität und damit die Leistungsfähigkeit der Bildauswertung weiter gesteigert. Weitere Anwendungen werden folgen. Die positiven Erfahrungen mit dem intensiv genutzten Maschinenlernen sind für HEUFT eine Bestätigung, dass der schon vor Jahren gestartete Entwicklungsprozess weiter verfolgt und sogar ausgebaut werden muss.“

Dr. Wolfgang Polster: „Der Einsatz von Deep Learning ist immer da sinnvoll, wo es sich um Strukturen handelt, die von Menschen nicht mehr allgemeingültig beschreibbar sind. Hier ist diese Art KI im jüngsten Release des Vollgutinspektors HEUFT eXaminer II XOS schon im Praxiseinsatz. So werden Röntgenbilder bevor sie die normale Abarbeitung durchlaufen, entrauscht und von Artefakten befreit. Dafür wurde das Netz einmalig mit tausenden Gut-Bildern trainiert und optimiert. Eine Klassifikation erfolgt aber im Anschluss nach unseren bewährten Strukturen.“